ur ie
24 3 * 9 *
BT. wu — u f - * 4 * — 3 „ 7 * * “
'. 1 7 . ' * » Ne; * N ö = * 1 * A ö ä — * N 4 - — , h = . > * u = = ze u» „ N De u 2 * 1 — = — * * . — R f * # N 5 = ö u nd u u 8 ** . 8 — — PR * * > u - — — * a7 j . N —— * De « | 5 „ 0 2 NZ | a 0 * * 1 u j 9 RUE — — 0 2 | 2 3 4 1 „ 1 * * 3 1 — N br N 0 * . * 21 . h 7 LO ? An” — | 47 — * hi x * = ** * 74 4 190 ’ ur 5 8 — * * | . * * 4, 4 . ae 5 . er g 0 * * 4 0 8 702 . > 7 * re # 25 . Er * 10 1 Jan > * 2 0 g vr 7 — 4 "Rz uch 5 T * 1 * i 2 u “af? * 5 & 23 mt
re 22 22.
** gr‘
Kaas Heinrich von Kleiſt Die Familie Schroffenſtein
Die Familie Ghonorez Robert Guiskard
2 e 27% ,,
Im Inſel Verlag Leipzig 1908
Das ſchnellſte Tier, das euch Vollko heit, Br fe ER aur Mater Ekbert. 1
Ein glückliches Leben iſt unmöglich: das hfte, was der Menſch erlangen kann, iſt ein heroiſcher Lebenslauf. Einen ſolchen führt der, welcher in irgend einer Art und Angelegenheit für das allen irgendwie zugute Kommende mit übergroßen Schwierigkeiten kämpft und am Ende ſiegt, dabei aber ſchlecht oder gar nicht belohnt wird. Schopenhauer.
1
— net:
S
as Leben Heinrichs von Kleiſt iſt die Tragödie
des großen idealiſtiſchen Menſchen, in dem es
gärf und tobt, und der mit aller Macht beſtrebt iſt, die Diſſonanzen, die ſich aus dem Gegenſatz ſeiner Innenwelt zur Außenwelt ergeben, zu einer Harmonie zu geſtalten, der mit dem Leben ringt und in dieſem Kampf zugrunde gebt, weil feine rückſichtslos-ehrliche Natur mit den Forderungen des Tages keine Kom: promiſſe zu ſchließen vermag.
Man hat Kleiſt eine problematiſche, oft auch eine pathologiſche Natur genannt. Das erſtere, weil er ſo ganz und gar auf ſein Gefühl beſtand, im Leben keine praktiſchen Ziele verfolgte und ſich dem all⸗ gemeinen Getriebe der Menſchen nicht anpaſſen konnte; pathologiſch nannte man ihn, weil er Geſtalten, wie Pentheſilea, das Käthchen, den Prinzen von Homburg geſchaffen hatte, die vom Normalen allerdings ganz erheblich abweichen. Was vermögen dieſe gemein⸗ plätzlichen Bezeichnungen zur Charakteriſtik eines Dichters beizutragen? Denn: iſt ſchon jeder über den Durchſchnitt hinausragende Menſch eine problematiſche Natur, oft ſich und andern durch die Kompliziertheit feiner Seele ein Rätſel, um wieviel mehr ein Künſtler von der Beſchaffenheit Kleiſts. Und nun gar: das Pathologiſche. O über dieſe Aſthetiker! Als ob es die Aufgabe des Dichters wäre, das Normale, das Ge— wöhnliche, das Durchſchnittliche, das Geſunde darzu— ſtellen. Verlangen wir nicht vom Drama, daß es Individualitäten, Menſchen eigener, beſonderer Art geſtalte? Nur die Kotzebue und ihre Nachfolger des 19. Jahrhunderts brachten das Triviale, den Bourgeois mit all feinen kleinen, banalen, ungefährlichen Ge-
VII
wohnheiten auf die Bühne. — Und worin beſteht vor allem das Tragiſche, wenn nicht im Kranken, — im Unheilbaren? Iſt nicht jeder Künſtler eben als Künſtler in dieſem Sinne pathologiſch? Wodurch unterſcheidet er ſich vom normalen Menſchen, wenn nicht durch ſeine ungewöhnlich ſtarke Empfänglichkeit für alle Eindrücke, durch feine abnorme Reaktions: fähigkeit, durch ſeine aufs höchſte geſteigerte ſinnliche und ſeeliſche Reizſamkeit?
Ja, man könnte ſagen, der Dichter iſt um ſo größer, je feiner, differenzierter er das Abnorme, das Ungewöhnliche, das Überfinnliche darzuſtellen weiß. Nehmen wir die größten Beiſpiele: Shakeſpeare und Goethe. Iſt Hamlet, iſt Lear, iſt Taſſo nicht eine pathologiſche Natur? Sie leiden alle, ſie leiden am Leben, das ſie umgibt, durch die Ungewöhnlichkeit, durch die Einzigkeit ihres Weſens. Es iſt, wie Hart⸗ leben einmal von Logau ſagte: „die edelgeborene, aus einem verfeinerten Empfindungsleben ſtammende Über: legenheit und Hilfloſigkeit angeſichts des umgebenden Lebens. Jene Überlegenheit und Hilfloſigkeit, die nun einmal allezeit ein glücklich unglückliches Menſchenkind zum Dichter gemacht hat.“
Das leuchtendſte Beiſpiel für das Martyrium des Genies bildet Kleiſt. Die außerordentliche Senſibilität ſeiner Seele ließ ihn in die Einſamkeit flüchten. Er mochte die Menſchen nicht, er war eine zu gerade, zu gefühlswahre Natur, um in der Welt des Scheins, der konventionellen Lüge, des Sichimmerzurechtfindens zufrieden leben zu können. Es war ihm nicht möglich, ſich den Gewohnheiten der Welt, deren Intereſſen und Ziele er verachtete, anzupaſſen; er hatte nicht im
VIII
* 5 — 7 m
geringften Grade das, was man Lebensklugheit nennt. Goethe und Schiller haben mehr praktiſche Lebens⸗ weisheit gehabt, ſie kannten die Gepflogenheiten und Neigungen der Geſellſchaft und wußten ſich mit ihnen auseinanderzuſetzen, ſie verſtanden mit den Menſchen umzugehen. Kleiſt hat ſie infolge des beſtändigen Wechſels ſeiner Gemütsſtimmungen ſchlechter oder beſſer geſehen, als ſie ſind.
Er, der preußiſche Junker, verwirft „den ganzen Bettel von Adel und Stand“, er verachtet die Dogmen und Vorurteile der guten Geſellſchaft, ihre Beſchränkt— heit in der Religion, der Kunſt, der Politik.
Alles Konventionelle iſt ihm verhaßt. Sein Ziel iſt der Menſch Rouſſeaus. Er, dem jede Erfahrung, jede Erkenntnis zum Erlebnis wird, dem die Kantiſche Philoſophie nicht wie den meiſten „reine Wiſſenſchaft“ bleibt, den ſie niederwirft, — er haßt aus tiefſter Seele den allgemein anerkannten Dualismus zwiſchen Erkennen und Leben, Denken und Handeln.
Er haßt vor allem den leichtfertigen Optimismus der Geſellſchaft, ihre anſteckende Banalität, ihr Über- alleshinwegkommenkönnen; er haßt dieſen ruchloſen optimiſtiſchen Sinn, der das Leben nur von der leichten Seite nimmt, um in dem Getändel und Ge— flirr des Geplauders die ungeheueren Abgründe, die furchtbare Not des Lebens vergeſſen zu können. Er
verachtet die Blaſiertheit der Geſellſchaft, die es nicht
mehr zu faſſen vermag, daß ein Menſch, ein Jüng— ling das Leben noch ſo ernſt, ſo gefährlich ernſt nehmen kann. Er ſieht, daß die Probleme, die ſeinen Geiſt beſchäftigen, niemals für die Geſellſchaft Probleme
waren, daß das Streben nach Bildung nicht mit der
IX
Höherentwickelung des Menſchen in uns zuſammen— fallen muß.
Er will das, was er als wahr erkannt hat, in die Tat, in das praktiſche Leben umſetzen und weicht in dieſem Beſtreben vor keiner Konſequenz zurück. Das Erreichen eines beſtimmten Lebenszwecks, das Brot— ſtudium, wie es von ſeinen Angehörigen natürlich gewünſcht wurde, das Streben nach Wahrheit, weil ſie, auf irgend eine Weiſe angewendet, — materiellen Nutzen bringen kann, all das ſchien ihm verächtlich, mußte einer Natur wie der ſeinigen verächtlich erſcheinen, weil eben nicht die Erlangung irgend welcher Güter ſein Ziel war, ihm vielmehr als höchſter Sinn des Daſeins die Vervollkommnung ſeines Selbſt vorſchwebte.
Und das iſt das Zeichen des Künſtlers, des großen lebenempfangenden und lebenſchaffenden Menſchen, der keine Zwecke, keine Ziele kennt, als nur das eine, das in ihm lebt, ihn lockt und treibt in die Niede— rungen, in die Abgründe, wie auf die Höhen und Gipfel des menſchlichen Lebens. Und von ihm, von des Lebens gewaltiger Größe und farbenfroher Mannig⸗ faltigkeit ein Bild zu geben, wie er es ſieht, das ijt fein Streben, feine unruhige Sehnſucht, fein dämo⸗ niſcher Trieb. —
Man erkennt bald, daß aus der Disharmonie, in die der Künſtler gerät, durch die Gegenſätzlichkeit ſeiner Intereſſen und Meinungen zu denen der Welt, daß aus der Disproportion des Talents mit dem Leben — wie es der alte Goethe einmal genannt hat — für den Künſtler die qualvollften Schmerzen ent⸗ ſpringen müſſen. Und wo fand dieſer immer ſchaffende, immer gärende Geiſt Beruhigung ſeiner Angſte,
X
6
7
\
k
TUIFRD :
S
Linderung ſeiner Schmerzen? Fand er eine Seele, die die ſtürmiſchen Wellen ſeines Innern glättete, zu der er flüchten konnte in Augenblicken der böchften Qual und Bedrängnis? Schiller fand Körner; Goethe flüchtete zu Charlotte von Stein, „und in deinen Engelsarmen ruhte die zerſtörte Bruſt ſich wieder auf.“ Kleiſt, der ſeines leicht verletzbaren Organismus wegen einen Menſchen am nötigften gehabt hätte, blieb einſam.
Wir haben von Wieland, in deſſen Hauſe der 26jährige Kleiſt mehrere Wochen zu Gaſt war, eine an— ſchauliche Charakteriſtik des einſamen und verſchloſſenen Jünglings. Unter mehreren Sonderlichkeiten, die an ihm auffallen mußten, war eine ſeltſame Art der Zerſtreuung, wenn man mit ihm ſprach, ſo daß z. B. ein einziges Wort eine ganze Reihe von Ideen in ſeinem Gehirn, wie ein Glockenſpiel, anzuziehen ſchien und verurſachte, daß er nichts weiter von dem, was man ihm ſagte, hörte und alſo auch mit der Antwort zurückblieb. Eine andere Eigenheit und eine noch fatalere, weil ſie zuweilen an Verrücktheit zu grenzen ſchien, war dieſe, daß er bei Tiſche ſehr häufig etwas zwiſchen den Zähnen mit ſich ſelbſt murmelte und dabei das Air eines Menſchen hatte, der ſich allein glaubt oder mit ſeinen Gedanken an einem andern Orte und mit ganz anderm Gegenſtande beſchäftigt iſt. „Er mußte mir end- lich geſtehen“, ſagt der alte Wieland, „daß er in ſolchen Augenblicken von Abweſenheit mit ſeinem Drama zu ſchaffen hatte, und dies nötigte ihn, mir gern oder un:
gern zu entdecken, daß er an einem Trauerſpiele arbeite, aber ein ſo hohes und vollkommenes Ideal ſeinem
Geiſte vorſchweben habe, daß es ihm noch immer un— moglich geweſen fei, es zu Papier zu bringen.“ Dieſe
XI
Sätze Wielands führe ich deshalb hier an, weil fie uns ſogleich ein charakteriſtiſches Bild des Menſchen und Künſtlers Kleiſt zeichnen, indem ſie das Beſondere, das Eigentümliche ſeines Weſens ſcharf wiedergeben und uns einen tiefen Blick in ſeine dunkle, immer bewegte Seele gewähren.
Wir erkennen: dieſe äußere Zerſtreutheit iſt die an— geſpannteſte innere Konzentration. Und das Bild, das uns Wieland entwarf, erinnert uns an jene Verſe, die Goethe im Taſſo die Gräfin Sanvitale ſprechen läßt, mit denen ſie uns das Weſen des unglücklichen Lieb— lings der Götter in wunderbarer Zartheit erſchließt:
Sein Auge weilt auf dieſer Erde kaum;
Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;
Was die Geſchichte reicht, das Leben gibt,
Sein Buſen nimmt es gleich und willig auf:
Das weit Zerſtreute ſammelt ſein Gemüt,
Und ſein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er, was uns gemein erſchien,
Und das Geſchätzte wird vor ihm zu nichts.
In dieſem engen Zauberkreiſe wandelt
Der wunderbare Mann und zieht uns an,
Mit ihm zu wandeln, teil an ihm zu nehmen;
Er ſcheint ſich uns zu nahn, und bleibt uns fern,
Er ſcheint uns anzuſehn, und Geiſter mögen
An unſerer Stelle ſeltſam ihm erſcheinen.
Und wenn auch jeder wahre Künſtler etwas von Taſſos Weſen haben wird, ſo charakteriſiert dieſe intime Seelenſchilderung doch beſonders den Dichter der Guiskard⸗Tragödie. Und wir verſtehen, daß aus einem ſolchen Gemütszuſtand mit Notwendigkeit „der Fehler“ entſtehen mußte, den auch Alphons bei Taſſo
XII
— —
tadelt, daß er mehr die Einſamkeit als die Geſellſchaft ſucht. In der Einſamkeit aber verſchärfte ſich noch ſeine Senſibilität und wurde durch einen ungeheueren Ehrgeiz aufs äußerſte geſteigert.
Ewig ungenügſam, ewig unzufrieden mit ſich ſelbſt, in fürchterlicher Qual, bei überreizter Spannung der Kräfte, von einer fieberhaften Unruhe verzehrt, immer nach dem Höchſten ſtrebend — und es doch nie erreichend — ſo jagte er ſeinem Ideale nach. Und was war ihm dieſes Ideal? Ein Werk zu ſchaſſen, ganz im Einklang mit feinem Leben, ganz aus ſich heraus— geboren, mit allen Eigentümlichkeiten, allen Faſern, allen Flecken, mit allen Schwächen, mit allem Häß— lichen und mit der Schönheit und Reinheit ſeines Weſens, ganz ſubjektiv und doch ein Gebilde von allgemeiner
Gültigkeit, deſſen pſychiſcher Reichtum, deſſen ſtrenge
Architektur die umfaſſendſte Objektivität widerſpiegeln müßte. „Denn“, ſo ruft er den Epigonen zu, „die Aufgabe, Himmel und Erde, iſt ja nicht, ein anderer, fondern Ihr ſelbſt zu fein, und Euch ſelbſt, Euer Eigen: ſtes und Innerſtes, durch Umriß und Farben zur An⸗ ſchauung zu bringen.“
Und in unabläſſigem Ringen mit der Form ſchuf er Werke, die — mit gewaltiger künſtleriſcher Kraft gezeugt — ſein Eigenſtes und Innerſtes zur An— ſchauung bringen. Wie ſich uns Rouſſeau in ſeinen „Confeſſions“ in hüllenloſer Nacktheit zeigt, wie er alle Fehler, alle Lügen, alle Laſter ſeines Lebens wahrheitswütig bekennt und uns dadurch ein gewal—
tiges menſchliches Dokument hinterließ, fo offenbart ſich uns auch die im Leben ſo zurückhaltende, ſo ver— ſchloſſene Seele ſeines Jüngers in allen Werken, die
XII
er ſchuf. Jedes Werk iſt ein Selbſtporträt, eine Beichte ſeines Schöpfers. Und wir erkennen durch die Objektivation hindurch die geheimſten, dunkelſten Pfade ſeines Ichs, ſeine ungeheure Sehnſucht nach der großen, alles heiligenden Liebe und ſein wildes ungeſtümes Streben nach dem Ideal.
Als Kleiſt nach langem Zaudern ſich einmal dazu verſtand, Wieland einige Bruchſtücke aus dem Guis— kard vorzudeklamieren, hat der feine Pſychologe und gründliche Kenner der Weltliteratur das von bewunde— rungswürdigem Scharfblick zeugende Wort geſprochen: „Von dieſem Augenblick an war es bei mir entſchieden, Kleiſt ſei dazu geboren, die große Lücke in unſerer dramatiſchen Literatur auszufüllen, die ſelbſt von Schiller und Goethe noch nicht ausgefüllt worden iſt.“ Die Tiefe dieſes Wortes vermögen wir heute erſt — nach hundert Jahren — wirklich zu erkennen. Goethe war, wie er ſelbſt von ſich ſagte, ſeiner ganzen Natur nach nicht zum Dramatiker beſtimmt, noch weniger ſeines konzilianten Weſens wegen zum Tragiker. Und die Schillerſche Kunſt iſt der Kleiſts in jeder Linie ſo entgegengeſetzt, daß man ſie nicht vergleichen, oder gar abſchätzen, ſondern nur nebenander ſtellen kann.
Kleiſt vermeidet mit Abſicht alles Rhetoriſche, er vermeidet die ſentenzenreichen Monologe, er haßt „die ſchöne Linie“. Und wenn gerade die beſten Schiller— ſchen Dramen auf einer großen idealen Weltanſchauung baſieren, wenn ſein Pathos den Freiheitsideen, dem freien, unabhängigen Geiſt entſpringt, und das Ge— danklich-Große ihn zu geſtalten reizt, ſo geht Kleiſt im äußerſten Gegenſatz zu Schiller von der Anſchau⸗ ung aus, nicht vom Geiſt, vom ſinnlichen Anſchauen
XIV
im Gegenfaß zum intellektuellen. Kleiſt war nie ein großer Intellekt, feine Werke enthalten nichts Geift: reiches. Sein ganzes Denken iſt auf das Gefühl geſtellt. All ſein Dichten iſt Naturtrieb, Intuition. Das kalt⸗bewußte Schaffen iſt ihm fremd; er dichtet immer mit Inbrunſt, im Affekt, in Ekſtaſe.
Und eben dem Reichtum ſeiner Gefühlswelt ent— ſprießen die ſeltſamen Blumen ſeiner Poeſie, entſpringt der Zauber, das Träumeriſche, das Viſionäre, das Dämoniſche, das Myſtiſche ſeiner Kunſt. Er will nicht nur das Heitere, Leuchtende, das Tageshelle des Lebens ſchildern, er will auch die Nachtſeiten der Natur, alles Dunkle, Finſtere, Geheimnisvolle der menſchlichen Seele durchleuchten, er will die Übergänge vom Be: wußten zum Unbewußten, vom Traum zur Wirklich⸗ keit, das Helldunkel, die Dämmerungszuſtände der Pſyche „feſthalten“, wiedergeben.
Seine Menſchen ſind Fleiſch von ſeinem Fleiſch und Blut von ſeinem Blut. Seine germaniſche, männlich⸗herbe Art erkennen wir am deutlichſten in ſeinen Rittergeſtalten, die uns oft an Dürerſche Holz— ſchnitte erinnern, fo kräftig, fo bodenſtändig, fo ſcharf umriſſen, — ſo deutſch ſind ſie. — Wie ſein Leben
keine Kompromiſſe kennt, ſo iſt auch das Leben ſeiner
Helden frei von allem Halben, Zaghaften. Es ſind große, heißblütige, triebhafte Naturen, die voller Leiden— ſchaft das Leben lieben und haſſen, die ſich ihrem Gefühl ganz und rückhaltlos hingeben, die mit unge— heurer Konſequenz den Weg zu Ende gehen, den
ihnen ihr Gefühl gewieſen hat. Sie haben den un: beugſamen Charakter, die rückſichtsloſe Einſeitigkeit,
e 8 7
die revolutionäre Leidenſchaft ihres Schöpfers. In
XV
ihrer Heldengröße erinnern fie uns an Shakeſpeares gewaltige Heroen, und doch liegt bei Kleiſt die Größe ſeiner Menſchen weniger im Typiſch-Heroiſchen, nie im Repräſentativen, immer im Menſchlich-Gewal⸗ tigen, im Individuellen. Es ſind nicht Helden ſchlecht⸗ hin, Athleten ohne Seele, es find trotz allem Helden⸗ tum, trotz aller Größe — Menſchen, die menſchlich lieben und haſſen, deren Gefühlsleben durch ihr Helden⸗ tum nicht geſtört wird, das es vielmehr befruchtet und erhöht. Es ſind Menſchen, die gleich ihrem Schöpfer nie gelernt haben, ihr Leben nach beſtimmten Geſichts— punkten zu geſtalten; ihre triebhafte, rückhaltlos-ehr⸗ liche Natur läßt ſie keine Rückſichten, keine Feſſeln anerkennen, für ſie haben die Gebote der Religion, des Staats, der Elternliebe keine Geltung, ſofern dieſe ihrem Gefühl entgegengeſetzt ſind. Nur aus ihrem Ich heraus entſteht ihr notwendiges Handeln. Das Ich iſt abſo— lut. — So finden wir in allen ſeinen Dramen und Er— zählungen — am ſchärfſten im „Kohlhaas“ herausge⸗ arbeitet — dieſen Kampf des Gefühls gegen den Verſtand, den Kampf des einfachen, primitiven, idealen Rechtsge: fühls gegen die kalte Auslegung der konventionellen Ge: ſetze. Und das iſt es, was ſeinen Genius aufs ſtärkſte reizte: Den Kampf, den Konflikt, das Problem des Einzelmenſchen, das Problem der Liebe, der Einſam— keit, der Macht, das Problem des Staats in ſeinen mannigfachen Differenzierungen und Nuancen, in der komplizierteſten Form in der menſchlichen Seele lebendig werden zu laſſen. Er durchdrang feine Menſchen mit dem Perſönlichſten, Innerlichſten ſeines eigenen Lebens. Er wurde der Schöpfer des individualiſtiſchen Dramas, indem er es wagte, das Beſondere, das
XVI
ganz und gar Individuelle, ja das Extreme und Per: verſe zu ſchildern, das Leben des Einzelmenſchen in all feiner widerſpruchsvollen Kompliziertheit als Ur: grund, als Urſtoff durch ſeine Kunſt zu geſtalten, die intimſten Seelenvorgänge mit einem bis dahin uner- hörten pſychologiſchen Realismus zu analyſieren. Wir ſehen heute: Sein Werk bedeutet den Anfangspunkt der Entwicklungslinie, die über Hebbel, dem Dichter des Gyges, zu Ibſen führt.
Was ihn von allen Dichtern ſeiner Zeit, beſonders von den Romantikern, aufs ſchärfſte unterſcheidet, worin er ſelbſt den Dichter des Wilhelm Meiſter übertrifft, das iſt ſeine ungeheure Sachlichkeit, die großartige Unſentimentalität, mit der er die grauen— vollſten Szenen, das wildeſte Toben entfeſſelter Leiden: ſchaft ſchildert. Und er kümmert ſich hierbei nicht im geringſten um irgend welche Forderungen der Ethik, des Anſtands, um Rückſichten auf das „leicht verletz⸗ liche Geſchlecht.“ Allen Prinzeſſinnen der Sittlichkeit und des guten Tons ruft er gleich Goethe das äſthetiſche Bekenntnis des Künſtlers, des Sinnen⸗ menſchen zu: „Erlaubt iſt, was gefällt.“
Man hat von Shakeſpeares Kunſt geſagt, daß in ihr der Sinn des Wahren über den des Schönen herrſche. Kleiſt mißachtet das Schöne, ſofern es nicht mit dem Wahren zuſammenfällt, identiſch iſt. Und daß die
Leidenſchaften ſeiner Helden ſo tief auf uns zu wirken
vermögen, daß fie uns mit fortreißen, liegt weniger an
—
der Glut, an dem Feuer, an dem Pathos ihrer Worte, als vielmehr an der Gewalt des Wahren, des Gefühls⸗
echten. Weil jedes Wort ein Gefühl, ein heiß emp— fundenes Gefühl in ſich birgt, weil der Ausdruck,
XVII
die Färbung des Worfes dem jeweiligen Empfinden ganz und gar entſpricht, ihm äquivalent ift, deshalb ſind ſelbſt ſeine pathetiſchen Stellen phraſenlos.
Sein Dialog, der jeder klaſſiſchen Kunſt Hohn ſpricht, iſt abrupt, ſprunghaft, wild. Nur ſelten wird er durch lange, bilderreiche Reden unterbrochen. Sein revolutionäres Temperament, das ſich gegen alles Beſtehende, gegen alle Dogmen und Vorurteile der Geſellſchaft auflehnt, das die Schranken des Konven— tionellen in feinem Leben wie in feiner Kunſt nieder- zureißen ſucht, ſtrömt in wundervoll wilden Worten, in bacchiſch raſenden Verſen ſeine Glut, ſeine gewal— tige Leidenſchaft aus. Und dieſes Temperament wird gemeiſtert durch ein an Shakeſpeare und den Griechen gebildetes Stilgefühl, durch ein außerordentlich ent: wickeltes äſthetiſches Empfinden für die Form, für die Architektur der Linien. Sein Streben nach einem großen, ſynthetiſchen Stil wird unterſtützt durch die Intuition, durch die Naivität ſeines Schaffens. Seine Welt drängt ſich uns, wie es Goethe einmal vom Zerbrochenen Krug ſagte, „mit gewaltiger Gegen— wart auf“; er ſieht ſeine Menſchen mit dem ſcharf— äugigen Blick des Plaſtikers: kein Zug, keine Be: wegung, keine Geſte entgeht ihm. Und durch dieſe oft verblüffende Art der Charakteriſtik, durch dieſe ſinnfällige Anſchaulichkeit ſehen wir alle ſeine Geſtalten leibhaftig vor uns. Wir ſehen die kleinen Hände der Amazonenkönigin, und wir bemerken den ſpöttiſchen Zug um den Mund des Odyſſeus. —
Er malt feine Szenen breit realiſtiſch, behaglich, anekdotenhaft hin wie ein Niederländer und auch mit dem derben Humor und dem draſtiſchen Naturalismus
XVIII
eines Jan Steen, und hat zugleich die pointilliſtiſche Andeutungskunſt eines modernen Impreſſioniſten. In äußerſtem Gegenſatz zu der Genremalerei des Zer— brochenen Kruges ſteht der ideale, individuelle, er: habene Stil der Pentheſilea. Hier glühen und leuchten die Farben der leidenſchaftlichſten Sinnlichkeit. Und doch gibt er im Dialog die feinſten Abtönungen, die zarteſten Nuancen des Gefühlslebens ſeiner Helden in prägnanten Linien wieder.
Reicher noch als ſeine maleriſchen Ausdrucksmittel ſind ſeine muſikaliſchen. Er hat ſelbſt einmal von ſich geſagt, daß er ſeit früheſter Jugend an alles Allge: meine, was er über die Dichtkunſt gedacht, auf Töne bezogen habe, im Gegenſatz zu einem großen Dichter (Goethe) — mit dem er ſich übrigens auf keine Weiſe zu vergleichen wage —, der alle ſeine Gedanken über die Kunſt, die er übt, auf Farben bezogen hat. Und er fügt hinzu: Ich glaube, daß im Generalbaß die wichtigſten Aufſchlüſſe über die Dichtkunſt enthalten ſind. Und in der Tat: ſeine Werke beſtätigen dies allgemein ausgeſprochene Wort durch die Art ſeiner Stimmführung, durch den Reichtum ſeiner Melodien, vor allem aber durch die Ausdrucksfähigkeit feiner Sprache. Schopenhauer ſagt: „Die Unerſchöpflichkeit möglicher Melodien entſpricht der Unerſchöpflichkeit der Natur an Verſchiedenheit der Individuen, Phyſiog⸗ nomien und Lebensläufen.“ Und die Sprache Kleiſts, die immer dem Gefühl, der Leidenſchaft entſpringt, nie der Vernunft, dem begrifflichen Denken, iſt ſinnlich, iſt — Muſik. Wer nur je einige Verſe aus der „Penthe⸗ ſilea“ oder dem „Guiskard“ gehört hat und für das Sinnliche, das Muſikaliſche der Sprache empfänglich
XIX
ift, der muß die ungeheure Macht diefes Rhythmus ge: fühlt haben. Dieſe Sprache, die oft fo trocken, fo kühl, fo knapp, fo knorrig und fo ſpröde fein kann, durch: zittern Töne der reizvollſten Märchenwelt, ſie iſt zart und weich und ſchmiegſam wie die knoſpende Mädchen⸗ feele, die ſich in ihr erſchließt; dieſe Sprache, die das Gräßlichſte in angſtvollem Schauder zu ſchildern ver— mag, ſingt und jauchzt und iſt voll dionyſiſcher Luſt, wenn es gilt, das Roſenfeſt, das Feſt der Liebe, zu feiern. Und in dieſem Rhythmus, deſſen heißer Atem uns umweht, der fo zart und ſchmiegſam, wie ſpröde und energiſch ſein kann, in dieſem ſo wechſelreichen Tonfall der Sprache, in dieſem Auf und Ab der Gefühlsſkala liegt der ganze Inhalt feiner Pſyche. Der Rhythmus iſt die Verſinnlichung ſeiner Seele. Und ſo vermag er denn auch das Heldenhafte, das gewaltige Ringen mit dem Ideal, die hehre Sehnſucht nach alles beſeligender Liebesfreude in Tönen wieder— zugeben, die uns oft an Beethovenſche Rhythmen erinnern. Eine Seele offenbart ſich in ihrer Einzig. keit, ein Menſch wirft Hülle um Hülle von ſich, und Töne klingen an unſer Ohr, die das Leid, das Ur: Leid, das Sehnen der Menſchheit, die gewaltige Tragik des Menſchen und zugleich die Überwindung des Leids, die Luſt, die tiefe verlangende Luſt nach Freude und Leben, die Harmonie, — die Erlöſung kuͤnden.
Und fo entſteht aus dem Geiſte der Muſik in der Seele des am Leben qualvoll leidenden Künſtlers, des am tiefſten leidenden Menſchen, der die Gegen: ſaͤtze feines Ichs am ſchmerzhafteſten empfindet und der deshalb danach ſtrebt, dieſe Gegenſätze zu über⸗
XX
IE.
winden, fo entſteht in der dionyſiſch erregten Seele des Künſtlers — die Harmonie, die Geburt der Tragödie. Dieſer Prozeß iſt das dramatiſche Lir- phänomen.
Auf keinen Künſtler paßt Nietzſches klares Wort beſſer als auf Kleiſt: „Im Grunde iſt das äſthetiſche Phänomen einfach, man habe nur die Fähigkeit, fort—
während ein lebendiges Spiel zu ſehen und immer:
fort von Geiſterſcharen umringt zu leben, fo iſt man Dichter; man fühle nur den Trieb, ſich ſelbſt zu ver: wandeln und aus andern Leibern und Seelen heraus— zureden, ſo iſt man Dramatiker.“ Jede Linie, die Nietzſche mit dieſen Worten zum Bilde des idealen Dichters zeichnet, finden wir im Weſen Kleiſts wieder. Es iſt die ewige Metamorphoſe, die unbegrenzte Berwandlungsmöglichkeit feiner Pſyche, durch die er ſeinen Geſtalten ſo viel Leben, ſo viel Selbſtändigkeit mitzuteilen vermag.
„Ich dichte nur, weil ich es nicht laſſen kann“, ſo einfach, fo primitiv hat er einmal die Notwendigkeit ſeines Schaffens ausgedrückt. Ja, er fühlt die Tortur des Schaffenmüſſens; und das iſt die Wolluſt, die Begierde des dionyſiſchen Künſtlers, es iſt „das fort: währende Schaffen eines Unbefriedigten, eines Über: reichen, Unendlich⸗-Geſpannten und Gedrängten, eines Gottes, der die Qual des Seins nur durch beſtändiges Verwandeln und Wechſeln überwindet“, es iſt der Zeugungsdrang des Genies.
Und wenn es ihm gelang, ſein Innerſtes, ſeine
Leiden und Qualen wie ſeine tiefe Sehnſucht nach
Leben, nach Liebe, nach Ruhm durch ſeine tiefgründige Pſychologie, durch ſeine gewaltige Sprachkunſt, durch
XXI
feine-plaftifche Phantaſie zur lebendigſten Anfhauung N
zu bringen, ſo vermochte er nicht, ſich im Leben ſelbſt im Gleichgewicht zu halten. Er zerſchellte an der Geſtaltung ſeines Lebens. .
Die Welt, die Zeit, in der er lebte, war ſeinem Ich, ſeinem ganzen Denken und Fühlen in allem ſo entgegengeſetzt, daß er bei der Senſibilität ſeiner Na— tur ſich mit Notwendigkeit immer unglücklich fühlen mußte.
Er ſah ſein Vaterland auf das erbärmlichſte ge— knechtet, er ſah das jämmerlicye Muckertum des Preußen von 1806. Und während dieſes Preußen auf den Schlachtfeldern von Jena und Auerſtädt die ſchmach— vollſten Niederlagen erlitt und alles in dumpfer Ver⸗ zweiflung ſtumm blieb, ſang ihm ſein größter Sohn ſchmetternde Siegeslieder: „Fanfaren blaſt .. In Staub mit allen Feinden Brandenburgs.“ — Doch wie ſollte ein Land, das ſo darniederlag, fur die Fanfaren dieſes befreienden Genius ein Ohr haben? Wie ſollte dieſes Philiſtertum einen ſo ſonderbaren Schwärmer hören oder gar verſtehen? Wie ſollten die an Kotzebue und Raupach Gewöhnten dieſe von allem Byzantinismus freien, wahrhaft patriotiſchen, nationalen Dichtungen nachfühlen können? Der Yüng- ling, der aus ſeiner Einſamkeit, aus ſeiner Zurück⸗ gezogenheit auf die politiſche Bühne tritt, der als Publiziſt und Dramatiker ſein Volk zur Befreiung anfeuern will, wird abgewieſen, ſeine Werke werden unterdrückt. Und klagend über die Verſtändnisloſig⸗ keit, über die Blindheit ſeines Volkes ſetzt er auf das Titelblatt ſeiner die Erhebung Deutſchlands feiernden Dichtung die ſchmerzdurchbebten Worte:
XXII
Wehe, mein Vaterland, dir! Die Leier zum Ruhm dir zu ſchlagen,
Iſt, getreu dir im Schoß, mir, deinem Dichter, ver— wehrt.
Wir ſehen: Sein ganzes Leben, ſeine Kunſt waren unzeitgemäß. In einer Zeit, wo nach Goethe und Schiller das Epigonentum blühte, ſchafft er innerhalb von acht Jahren Werk auf Werk, von denen jedes auf jeder Seite, in jeder Szene die Originalität, die Eigen- willigkeit feines Schöpfers offenbart. — Er, der größte Plaſtiker unter den deutſchen Dramatikern, hat nie eins dieſer Werke auf der Bühne verkörpert geſehen. Und nun denke man ſich dieſen vom höchſten Ehr— geiz getriebenen Jüngling, der ſich bewußt iſt, Großes, Gewaltiges geſchaffen zu haben, der feinem darnieder— liegenden Vaterlande Siegeslieder ſingt, um es zur Befreiung zu begeiſtern, der ſich einer tauben, emp: findungslofen Menge gegenüberſieht, — der von der bitterſten materiellen Not bedrängt wird. Ja, ihr Phariſäer, die ihr über den Selbſtmord klagt, da zer: brach er feine Form, denn er hatte genug der Er: biärmlichkeiten geduldet.
Dier Künſtler, der ihm ſeiner ganzen Natur nach am nächſten ſtand, der ihn vielleicht am tiefſten ver:
|’ ſtehen konnte, — der ihn jedenfalls aufs höchſte ſchätzte, Friedrich Hebbel, hat ihm dieſes Denkmal
geſetzt: 1 Er war ein Dichter und ein Mann, wie einer, Er brauchte ſelbſt dem Höchſten nicht zu weichen, An Kraft ſind wenige ihm zu vergleichen,
An unerhörtem Unglück, glaub ich, keiner.
XXIII
Perſonen
Rupert, Graf von Schroffenſtein, aus dem Hauſe Roſſitz | |
Euſtache, feine Gemahlin
Ottokar, ihr Sohn
Johann, Ruperts natürlicher Sohn
Sylvius, Graf von Schroffenſtein, aus dem Haufe Warwand
Sylveſter, ſein Sohn, regierender Graf
Gertrude, Sylveſters Gemahlin, Stiefſchweſter des Euftache
Agnes, ihre Tochter
Jeronimus von Schroffenſtein, aus dem Kaufe. Wyk
Aldöbern
Santing Vaſallen Ruperts
Fintenring
Theiſtiner, Vaſall Sylveſters
Urfula, eine Totengräberswitwe
Barnabe, ihre Tochter
Eine Kammerjungfer der Euſtache
Ein Kirchenvogt
Ein Gartner
Zwei Wanderer
Ritter. Geiſtliche. Hofgeſinde
Das Stück ſpielt in Schwaben.
Erſter Aufzug Erſte Szene
in der Mitte; um ihn herum Rupert, Euſtache, Ottokar,
Jeronimus, Ritter, Geiſtliche, das Hofgefinde und
ein Chor von Jünglingen und Mädchen. Die Meſſe ift ſoeben beendigt.)
1 6 (Roſſitz. Das Innere einer Kapelle. Es ſteht ein Sarg 0
Chor der Mädchen (mit Muſik) Niederſteigen, Glanzumſtrahlet,
Himmelshöhen zur Erd herab; Sah ein Frühling Einen Engel.
Nieder trat ihn ein frecher Fuß.
Chor der Jünglinge Deſſen Thron die weiten Räume decken, 0 Deſſen Reich die Sterne Grenzen ſtecken, Deſſen Willen wollen wir vollſtrecken, 65 Rache! Rache! Rache! ſchwören wir.
90 Chor der Mädchen 3 Aus dem Staube IE Aufwärts blickt er
Milde zürnend den Frechen an;
Bat, ein Kindlein, Bat um Liebe. Mörders Stahl gab die Antwort ihm.
Chor der Jünglinge (wie oben)
Chor der Mädchen Nun im Sarge, Ausgelitten. Faltet blutige Händlein er, Gnade betend Seinem Feinde. Trotzig ſtehet der Feind und ſchweigt.
Chor der Jünglinge (wie oben)
(Während die Muſik zu Ende geht, nähert ſich die Familie und ihr Gefolge dem Altar)
Rupert Ich ſchwöre Rache! Rache! auf die Hoſtie, Dem Hauſ Sylveſters, Grafen Schroffenſtein. (Er empfängt das Abendmahl.) Die Reihe iſt an dir, mein Sohn.
Ottokar Mein Herz
Trägt wie mit Schwingen deinen Fluch zu Gott. Ich ſchwöre Rache, ſo wie du.
Rupert Den Namen,
Mein Sohn, den Namen nenne!
4
Ottokar Rache ſchwoͤr ich Sylveſtern Schroffenſtein!
Rupert Nein, irre nicht! Ein Fluch, wie unſrer, kömmt vor Gottes Ohr, Und jedes Wort bewaffnet er mit Blitzen. Drum wäge ſie gewiſſenhaft. — Sprich nicht Sylveſter, ſprich ſein ganzes Haus, ſo haſt Dus ſichrer.
Ottokar
Rache ſchwör ich, Rache! Dem Mörderhauſ' Sylveſters.
(Er empfange das Abendmahl.)
Rupert
# Euſtache, Die Reihe iſt an dir.
Euſtache 4 Verſchone mich, 0 - Ich bin ein Weib —
Rupert Und Mutter auch des Toten.
i Euſtache D Gott! Wie ſoll ein Weib ſich rächen?
Rupert
In Gedanken. Würge Sie betend. (Sie empfängt das Abendmahl.)
(Rupert führt Euſtache in den Vordergrund. Alle folgen.) :
Rupert Ich weiß, Euſtache, Männer ſind die Rächer, Ihr ſeid die Klageweiber der Natur. Doch nichts mehr von Natur. Ein hold ergötzend Märchen iſts der Kindheit, Der Menſchheit von den Dichtern, ihrer Amme, Erzählt. Vertrauen, Unſchuld, Treue, Liebe, Religion, der Götter Furcht ſind wie Die Tiere, welche reden. — Selbſt das Band, Das heilige, der Blutsverwandtſchaft riß, Und Vettern, Kinder eines Vaters, zielen, Mit Dolchen zielen ſie auf ihre Brüſte. Ja, ſieh, die letzte Menſchenregung für Das Weſen in der Wiege iſt erloſchen. Man ſpricht von Wölfen, welche Kinder ſäugten, Von Löwen, die das Einzige der Mutter Berfchonten. — Ich erwarte, daß ein Bär An Oheims Stelle tritt für Ottokar. Und weil doch alles ſich gewandelt, Menſchen Mit Tieren die Natur gewechſelt, wechfle Denn auch das Weib die ihrige — verdränge Das Kleinod Liebe, das nicht üblich iſt, Aus ihrem Herzen, um die Folie, Den Haß, hineinzuſetzen.
6
| Wir Indeſſen tuns in unfrer Art. Ich biete
Euch, meine Lehensmänner, auf, mir ſchnell
Von Mann und Weib und Kind und, was nur irgend Sein Leben lieb hat, eine Schar zu bilden.
Denn nicht ein ehrlich offner Krieg, ich denke,
Nur eine Jagd wirds werden wie nach Schlangen. Wir wollen bloß das Felſenloch verkeilen,
Mit Dampfe ſie in ihrem Neſt erſticken —
Die Leichen liegen laſſen, daß von fernher
Geſtank die Gattung ſchreckt, und keine wieder
In einem Erdenalter dort ein Ei legt.
Euſtache O Rupert, mäßge dich! Es hat der frech Beleidigte den Nachteil, daß die Tat Ihm die Beſinnung ſelbſt der Rache raubt, Und daß in ſeiner eignen Bruſt ein Freund Des Feindes aufſteht wider ihn, die Wut — Wenn dir ein Garn Sylveſter ſtellt, du läufſt In deiner Wunde blindem Schmerzgefühl Hinein. — Könntſt du nicht prüfen mindeſtens Vorher, aufſchieben noch die Fehde? — Ich Will nicht den Arm der Rache binden, leiten Nur will ich ihn, daß er ſo ſichrer treffe.
Rupert So meinſt du, ſoll ich warten? Peters Tod Nicht rächen, bis ich Ottokars, bis ich Auch deinen noch zu rächen hab — Aldöbern!
Geh hin nach Warwand, kündge ihm den Frieden!
— Doch ſags ihm nicht ſo ſanft, wie ich, hörſt du? Nicht mit ſo dürren Worten — Sag, daß ich Geſonnen ſei, an ſeines Schloſſes Stelle
Ein Hochgericht zu bauen. — Nein, ich bitte,
Du mußt ſo matt nicht reden — Sag, ich dürſte Nach ſein und ſeines Kindes Blute, hörſt du?
Und ſeines Kindes Blute.
Er bedeckt ſich das Geſicht; ab, mit Gefolge, außer Ottokar und Jeronimus.)
Jeronimus Ein Wort, Graf Ottokar.
Ottokar Biſt dus, Jerome? Willkommen! Wie du ſiehſt, ſind wir geſchäftig, Und kaum wird mir die Zeit noch bleiben, mir Die Rüſtung anzupaſſen. — Nun, was gibts?
Jeronimus Ich komm aus Warwand.
Ottokar Go? Aus Warwand? Nun?
Jeronimus Bei meinem Eid, ich nehme ihre Sache.
Ottokar Gplvefters? Du?
8
a a ET re A nn
Jeronimus Denn nie ward eine Fehde
So tollkühn raſch, ſo frevelhaft leichtſinnig Beſchloſſen, als die eur.
Ottokar Erkläre dich.
Jeronimus Ich denke, das Erklären iſt an dir. Ich habe hier in dieſen Bänken wie Ein Narr geſtanden, Dem ein Schwarzkünſtler Faxen vormacht.
Ottokar N Wie? Du wüßteſt nichts?
Jeronimus Du hörſt, ich ſage dir, Ich komm aus Warwand, wo Sylveſter, den Ihr einen Kindesmörder ſcheltet, Die Mücken klatſcht, die um ſein Mädchen ſummen.
Ottokar Ja ſo, das war es. — Allerdings, man weiß, Du giltſt dem Hauſe viel, ſie haben dich Stets ihren Freund genannt, ſo ſollteſt du Wohl unterrichtet ſein von ihren Wegen. Man ſpricht, du freiteſt um die Tochter — Nun, Ich ſah ſie nie, doch des Gerüchtes Stimme
Rühmt ihre Schönheit — Wohl. So iſt der Preis Es wert. —
Jeronimus Wie meinſt du das?
Ottokar Ich meine, weil —
Jeronimus Laß gut ſein, kann es ſelbſt mir überſetzen. Du meineſt, weil ein ſeltner Fiſch ſich zeigt, Der doch zum Unglück bloß vom Aas ſich nährt, So ſchlüg ich meine Ritterehre tot Und hing die Leich an meiner Lüſte Angel Als Köder auf —
Ottokar
Ja, grad heraus, Jerome! Es gab uns Gott das ſeltne Glück, daß wir Der Feinde Schar leichtfaßlich, unzweideutig, Wie eine runde Zahl erkennen. Warwand, In dieſem Worte liegts, wie Gift in einer Büchſe; Und weils jetzt drängt, und eben nicht die Zeit Zu makeln, ein zweideutig Körnchen Saft Mit Müh herauszuklauben, nun ſo machen Wirs kurz und fagen: du gehörſt zu Warwand.
Jeronimus Bei meinem Eid, da habt ihr recht. Niemals War eine Wahl mir zwiſchen euch und ihnen; Doch muß ich mich entſcheiden, auf der Stelle
10
Tu ichs, wenn fo die Sachen ftehn. Ja, ſieh, Ich ſpreng auf alle Schlöſſer im Gebirg, Empöre jedes Herz, bewaffne, wo
Ichs finde, das Gefühl des Rechts, den frech Verleumdeten zu rächen.
Ottokar
Das Gefühl Des Rechts! O du Falſchmünzer der Gefühle! Nicht Einen wird ihr blanker Schein betrügen; Am Klange werden fie es hören, an Die Tür zur Warnung deine Worte nageln. — Das Rechtgefühl! — Als obs ein andres noch In einer andern Bruſt, als dieſes, gäbe! Denkſt du, daß ich, wenn ich ihn ſchuldlos glaubte, Nicht ſelbſt dem eignen Vater gegenüber Auf ſeine Seite treten würde? Nun, Du Tor, wie könnt ich denn dies Schwert, dies geſtern Empfangne, dies der Rache auf ſein Haupt Geweihte, ſo mit Wolluſt tragen? — Doch Nichts mehr davon, das kannſt du nicht verſtehn. Zum Schluſſe — Wir, wir hätten, denk ich, nun Einander wohl nichts mehr zu ſagen?
Jeronimus — Nein. Ottokar Leb wohl! Jeronimus Ottokar!
Was meinft du? Sieh, du ſchlägſt mir ins Geſicht,
11
Und ich, ich bitte dich, mit mir zu reden. Was meinſt du, bin ich nicht ein Schurke?
Ottokar Willſt Dus wiſſen, ſtell dich nur an dieſen Sarg! (Ottokar ab. Jeronimus kämpft mit ſich, will ihm nach, erblickt dann den Kirchen vogt.)
„ Jeronimus e, Alter! Kirchenvogt Herr! Jeronimus Du kennſt mich?
Kirchenvogt Warſt du ſchon In dieſer Kirche?
Jeronimus Nein.
Kirchenvogt Ei, Herr, wie kann Ein Kirchenvogt die Namen aller kennen, Die außerhalb der Kirche?
Jeronimus Du haſt recht. Ich bin auf Reiſen, hab hier angeſprochen, Und finde alles voller Leid und Trauer.
12
Unglaublich dünkts mich, was die Leute reden, Es hab der Oheim dieſes Kind erſchlagen.
Du biſt ein Mann doch, den man zu dem Pöbel Nicht zählt, und der wohl hie und da ein Wort Von höhrer Hand erhorchen mag. Nun, wenns Beliebt, fo teil mir, was du wiſſen magſt,
Fein ordentlich und nach der Reihe mit.
Kirchenvogt Seht, Herr, das tu ich gern. Seit alten Zeiten Gibts zwiſchen unſern beiden Grafenhäuſern,
Von Roſſitz und von Warwand, einen Erbvertrag,
Kraft deſſen, nach dem gänzlichen Ausſterben Des einen Stamms, das gänzliche Beſitztum Desſelben an den andern fallen ſollte.
Jeronimus
Zur Sache, Alter! das gehört zur Sache nicht.
Kirchenvogt Ei, Herr, der Erbvertrag gehört zur Sache. Denn das iſt juſt, als ſagteſt du, der Apfel Gehöre nicht zum Sündenfall.
Jeronimus 1 Nun denn, So ſprich.
Kirchenvogt Ich ſprech! Als unſer jetzger Herr An die Regierung treten ſollte, ward
13
Er plötzlich krank. Er lag zwei Tage lang In Ohnmacht; alles hielt ihn ſchon für tot, Und Graf Sylveſter griff als Erbe ſchon Zur Hinterlaſſenſchaft, als wiederum
Der gute Herr lebendig ward. Nun hätt Der Tod in Warwand keine größre Trauer Erwecken können, als die böſe Nachricht.
Jeronimus Wer hat dir das geſagt?
Kirchenvogt Herr, zwanzig Jahre ſinds, Kanns nicht beſchwören mehr. Jeronimus Sprich weiter. Kirchenvogt Herr, Ich ſpreche weiter. Seit der Zeit hat der Sylveſter ſtets nach unſrer Grafſchaft her Geſchielt, wie eine Katze nach dem Knochen, An dem der Hund nagt.
Jeronimus Tat er das? Kirchenvogt Go oft Ein Junker unſerm Herrn geboren ward, Soll er, ſpricht man, erblaßt ſein.
Jeronimus Wirklich?
Kirchenvogt Nun,
Weil alles Warten und Gedulden doch Vergebens war, und die zwei Knaben wie
Die Pappeln blühten, nahm er kurz die Art, Und fällte vor der Hand den einen hier,
Den jüngſten, von neun Jahren, der im Sarg.
Jeronimus Nun, das erzähl, wie iſt das zugegangen?
Kirchenvogt Herr, ich erzähls dir ja. Denk dir, du ſeiſt Graf Rupert, unſer Herr, und gingſt an einem Abend Spazieren, weit von Roſſitz, ins Gebirg. Nun denke dir, du fändeſt plötzlich dort Dein Kind erſchlagen, neben ihm zwei Männer Mit blutgen Meſſern, Männer, ſag ich dir, Aus Warwand. Wütend zögſt du drauf das Schwert Und machtſt ſie beide nieder.
Jeronimus Tat Rupert das?
Kirchenvogt Der eine, Herr, blieb noch am Leben, und Der hats geſtanden.
Jeronimus Geſtanden?
Kirchenvogt Ja, Herr, er hats rein h'raus geſtanden.
15
Jeronimus 7 Was Hat er geſtanden? Kirchenvogt Daß ſein Herr Sylveſter Zum Morde ihn gedungen und bezahlt.
Jeronimus Haſt dus gehört? Aus ſeinem Munde?
Kirchenvogt
Herr,
Ich habs gehört aus ſeinem Munde, und die ganze Gemeinde.
Jeronimus
Hölliſch iſts! — Erzähls genau.
Sprich, wie geſtand ers?
Kirchenvogt Auf der Folter. Jeronimus
Auf Der Folter? Sag mir ſeine Worte.
Kirchenvogt Herr, Die hab ich nicht genau gehöret, außer eins; Denn ein Getümmel war auf unſerm Markte, Wo er gefoltert ward, daß man ſein Brüllen Kaum hören konnte.
Jeronimus Außer eins, ſprachſt du; Nenn mir das eine Wort, das du gehört.
16
Kirchenvogt Das eine Wort, Herr, war: Sylveſter.